Abstract
Schelling spätestes System kann in zwei Hinsichten ‚unvollendet‘ genannt werden: Erstens hat er die geplante Ausführung nicht ganz vollenden können; zweitens gehören zur systematisch intendierten Form des Unternehmens erklärtermaßen offene und als Brechungen einzustufende Systemstellen.
Zwei Brechungen des Systems sind in der Forschung heute allgemein bekannt:
- Ein „Erweis“ der wirklichen Existenz Gottes als des Systemprinzips, welchen Schellings Philosophie der Offenbarung (im Anschluss an eine Philosophie der Mythologie) positiv zu führen beabsichtigt, kann wesentlich „nie abgeschlossen“ sein.
- Der Übergang zwischen der ‚negativen‘ Darstellung der reinrationalen Philosophie und der ‚positiven‘ Philosophie der Mythologie und der Offenbarung – den zwei prominentesten Hauptstücken des ganzen Programms – findet wesentlich nicht durch eine systeminterne Schrittführung statt.
Weniger offensichtlich und bislang so gut wie unbekannt ist mindestens eine weitere, im gedanklichen Gesamtduktus unvermeidliche Brechung, nämlich:
- Schellings spätes Philosophieprogramm führt (gezielt und ausgesprochenermaßen) zwei wesentlich unvereinbare Sinne von »System« zusammen. Dabei verlangt diese Zusammenführung die Zerlegung der Philosophie in eine abgeschlossene negative und eine prinzipiell unabgeschlossen bleibende positive, die beide begrifflich nicht mehr aneinander angrenzen können.
Als Schellings unvollendetes System ist derjenige von ihm selbst bestimmte Werkzusammenhang seiner Spätphilosophie zu bezeichen, der alle systematischen Bruchstellen aufweist.
Die erste Forschungsfrage lautet daher, inwieweit Schellings unvollendetes System unter Einschluss jener Bruchstellen überhaupt noch als ein systematisches Konzept philosophischer Art intendiert sein kann. Dies wurde in maßgeblicher Forschung mitunter explizit bezweifelt.
Die zweite, textanalytische Forschungsfrage lautet, ob die so intendierte philosophische Systematik in ihrem letzten Zuschnitt als ‚unvollendetes System‘ nochmals signifikant abweicht von den Systementwürfen, die Schellings Spätphilosophie bis in die erste Berliner Zeit hinein aufweist. Auch in dieser Frage tendiert, was deren systematischen Aussagewert anbelangt, die bisherige Forschungsmeinung in gegenteilige Richtung.
Das Projekt zielt darauf, für beide Fragen eine deutlich bejahende Antwort aus Schellings hinterlassenem Spätwerk und zugehörigen Dokumenten anzuvisieren und in ihrem Vorzug zu begründen.
Das DFG-Projekt wurde bis Dezember 2026 verlängert.