Jazmin Sidney

GSN-Stipendiatin

Forschungsstelle Neurophilosophie und Ethik der Neurowissenschaften

Über die Promotion

Generalerweise tadeln wir Menschen weniger für Fehler, die sie begehen, wenn sie emotional sind. Empirische Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass wir zwar davon ausgehen, dass Emotionen Tadel abschwächen, nicht aber, dass Emotionen Lob abschwächen. Das heißt, wir loben Menschen nicht weniger für die guten Taten, die sie begehen, wenn sie emotional sind. Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass diese Asymmetrie zwischen Tadel und Lob eine Folge der Verzerrung des guten wahren Selbst („good true self bias“) ist. Dabei handelt es sich um die Voreingenommenheit, mit der wir annehmen, dass Menschen „tief im Inneren“ gut sind. Diese Voreingenommenheit veranlasst uns zu der Annahme, dass negative emotionale Handlungen nicht das wahre Selbst einer Person widerspiegeln, positive emotionale Handlungen hingegen schon. Diese Erklärung steht jedoch vor einem zentralen Problem. Es ist klar, dass wir Menschen oft die volle Schuld geben. Was also führt dazu, dass die Verzerrung des guten wahren Selbst manchmal zum Tragen kommt und manchmal nicht? In Bezug auf das vorliegende Thema ist die Frage von Bedeutung, warum gerade Emotionen die Verzerrung des guten wahren Selbst „auslösen“. Dies führt zu einem weiteren Problem. Nicht alle Emotionen verringern die Schuldgefühle. Zum Beispiel machen Neid und Langeweile einen Menschen in der Regel nicht weniger schuldhaft für seine Handlungen. Aber warum bilden diese Emotionen dann eine Ausnahme von der Voreingenommenheit für das gute wahre Selbst?

Viele andere Fragen werden durch die Erklärung der Verzerrung des guten wahren Selbst unbeantwortet gelassen. Es ist zum Beispiel klar, dass verschiedene Emotionen Schuldgefühle in unterschiedlichem Maße reduzieren. Wut reduziert die Schuld in einem offensichtlichen Sinne stärker als Griesgrämigkeit. Aber warum ist dies der Fall? Die intuitivste Erklärung für die relative Verringerung der Schuldgefühle wäre, dass wir umso weniger Schuldgefühle haben, je negativer eine Handlung ist, denn je negativer eine Handlung ist, desto weniger spiegelt sie das vermeintlich gute, wahre Selbst wider. Dies ist jedoch als Erklärung nicht haltbar. Erstens ist sie falsch: Je schlimmer eine Handlung ist, desto mehr tadeln wir, und zweitens erklärt sie nicht, warum verschiedene Emotionen bei ein und derselben Handlung unterschiedlich tadelnd wirken können. Wut kann die Schuld an einem Mord mindern, aber Griesgrämigkeit sicher nicht. Eine letzte unbeantwortete Frage ist, dass theoretische und empirische Arbeiten bisher nur untersucht haben, wie wir tadeln und loben, wenn negativ bewertete Emotionen wie Wut und Angst zu moralisch falschen Handlungen führen und wenn positiv bewertete Emotionen wie Empathie und Sympathie zu moralisch richtigen Handlungen führen. Aber was passiert, wenn negativ bewertete Emotionen zu moralisch richtigen Handlungen führen und positiv bewertete Emotionen zu moralisch falschen Handlungen? Bleibt die Asymmetrie bestehen, und wenn nicht, warum?

Mein Promotionsprojekt, das großzügigerweise durch das Neurophilosophie-Stipendium der Graduate School of Systemic Neurosciences der LMU finanziert wird, wird diese Fragen sowohl mit theoretischen als auch empirischen Methoden beantworten.